Neues Risiko für GmbH Gesellschafter – Ausschüttung vorgetragener Gewinne anfechtbar

Neues Risiko für GmbH Gesellschafter – Ausschüttung vorgetragener Gewinne anfechtbar

Der Bundesgerichtshof hat mit einer kürzlich veröffentlichen Entscheidung (Az. IX ZR 195/20) ein neues Anfechtungsrisiko für Gesellschafter insolventer GmbHs eröffnet. Konkret unterliegen nun Ausschüttungen auf Gewinne, die ursprünglich thesauriert, also vorgetragen, wurden, der Anfechtung nach § 135 InsO.

§ 135 InsO besagt kurz gesagt, dass Zahlungen der Gesellschaft an Gesellschafter anfechtbar sind, wenn sie zur Rückführung von Gesellschafterdarlehen dienen und innerhalb eines Jahres vor einem Insolvenzantrag erfolgt sind. Gleiches gilt für „gleichgestellte Forderungen“.

Der BGH stellt sich nun auf den Standpunkt, dass Gewinne, die ursprünglich nicht ausgeschüttet sondern thesauriert wurden, nichts anderes sind, als Gewinne, die ausgeschüttet und sofort wieder als Gesellschafterdarlehen eingestellt wurden. Daher muss aus Sicht des BGH folgerichtig die Anfechtbarkeit nach § 135 InsO auch derartige Ausschüttungen umfassen. Wörtlich führt der BGH hier unmissverständlich zu dieser bisher streitigen Frage aus:

„Der Senat entscheidet die streitige Frage dahingehend, dass die Ausschüttung eines Gewinnvortrags an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung der Anfechtung nach §§ 135 I Nr. 2, 39 I Nr. 5 InsO unterliegt. Indem sich der Gesellschafter bei der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses entscheidet, den Jahresgewinn nicht auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen, trifft er – wie bei der Gewährung eines Darlehens – eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der Gesellschaft.“

(…)

„Der Gesellschafter überlässt der Gesellschaft beim Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung, wie bei einem Darlehen, vorübergehend Kapital und verschafft ihr temporär Liquidität. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise macht es beim Alleingesellschafter einer GmbH keinen Unterschied, ob ein von der Gesellschaft erwirtschafteter Gewinn zunächst an den Gesellschafter ausgeschüttet und anschließend wieder als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt wird oder der Gewinn gem. § 29 II GmbHG auf neue Rechnung vorgetragen wird. Erst recht macht es keinen Unterschied, ob der erwirtschaftete Gewinn nach Fassung eines Ausschüttungsbeschlusses stehengelassen wird (vgl. hierzu BGH NZI 2021, 180 Rn. 13) oder erst auf neue Rechnung vorgetragen wird und ein Ausschüttungsbeschluss später gefasst wird. Stets stehen die Mittel der Gesellschaft zum Wirtschaften oder zur Vornahme von Investitionen zur Verfügung. Der Gesellschafter entscheidet sich in allen diesen Fällen dafür, der Gesellschaft eine Finanzierungsquelle für die weitere Geschäftstätigkeit zu überlassen, die ihm mittelbar über seine Stellung als Gesellschafter zugutekommt (vgl. BGHZ 222, 283 = NJW 2019, 2923 Rn. 25).“

Dies soll aber nur dann gelten, wenn die Auszahlung nicht nach §§30, 31 GmbHG unzulässig wäre, denn im Falle einer derartigen Unzulässigkeit handelt es sich nicht um ein freiwilliges Stehenlassen sondern um ein gesetzlich veranlasstes, was wiederum keine „Rechtshandlung“ im Sinne des § 135 InsO darstellen würde.

Der BGH hatte seiner Entscheidung die Konstellation einer Alleingesellschafter-GmbH zu Grunde gelegt. Offen bleibt daher, ob diese Wertungen auch bei Gesellschaften mit mehreren Gesellschaftern Anwendung findet. Sicher dürfte sein, dass bei Publikumsgesellschaften oder öffentlich gehandelten Aktiengesellschaften nicht von einem freiwilligen Zurverfügungstellen durch den einzelnen Gesellschafter/Aktionär ausgegangen werden kann. Spannend bleibt aber, wie der BGH dies bei Gesellschaften mit 2, 3 oder 4 Gesellschaftern bewerten wird – hier kann und muss wohl aus Sicherheitsgründen von einer parallelen Argumentation ausgegangen werden.

 

Jürgen Steinhofer, BLTS-Anwalt für Gesellschaftsrecht sowie Zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte, zur neuen Rechtsprechung: „Aus insolvenzrechtlicher Sicht ist die Ansicht des BGH folgerichtig und entspricht auch dem Gedanken des § 135 InsO. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht und vor allem aus Sicht des Restrukturieres führt diese Entscheidung zu einer unguten Situation: Gesellschaftern muss nun zur Vermeidung der Anfechtbarkeit geraten werden, alle Gewinne immer sofort auszuschütten – dies entzieht der Gesellschaft aber im Regelfall unnötig Liquidität. Liquidität ist aber in schwierigen Phasen Trumpf und so verschärft die BGH-Rechtsprechung die Gefahr von Krisen in Unternehmen.“

 

GmbH-Gesellschafter und vor allem auch deren Steuerberater müssen die neue Rechtsprechung genau im Blick haben und die Situation abwägen. Bei Fragen hierzu unterstützen wir Sie gerne.