Seit 01.01.2022: Umfangreiche Neuregelungen im BGB

Seit 01.01.2022: Umfangreiche Neuregelungen im BGB

Der Gesetzgeber hat am 30. Juni 2021 die europäischen Warenkaufrichtlinie (WKRL) sowie die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen (DIDRL) umgesetzt. Ziel der Richtlinien ist ein harmonisiertes Kaufrecht innerhalb der Europäischen Union. Die Bundesgesetze gelten seit dem 01.01.2022 und bringen zahlreiche bedeutende Änderungen im BGB mit sich.

Das wichtigste vorab in Kürze:
Im Kaufrecht wird künftig zwischen folgenden Arten von Waren unterschieden:

  • Analoge Kaufsache, §§ 434 ff. BGB nF
  • Digitale Produkte, §§ 327d ff. BGB nF (Überbegriff für digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen)
  • Kaufsache mit digitalem Element, §§ 434 ff., 475b ff., 327 ff. BGB nF

 

Neuregelungen im allgemeinen Kaufrecht

Sachmangelbegriff (§ 434 BGB nF)

Der Sachmangelbegriff in § 434 BGB wird grundlegend neu gefasst. Nach § 434 BGB nF ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn:

  • sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen,
  • den objektiven Anforderungen und
  • den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.

 

Die Voraussetzungen müssen, anders als nach bisheriger Rechtslage, kumulativ vorliegen. Die Sache entspricht den subjektiven Anforderungen, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen übergeben wird. Den objektiven Anforderungen genügt die Sache, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und die übliche Beschaffenheit aufweist. Dies führt dazu, dass eine Sache auch dann mangelhaft sein kann, wenn sie sich trotz Einhaltung der vereinbarten Beschaffenheit nicht auch zur gewöhnlichen Verwendung eignet.

§ 434 V BGB nF stellt die Lieferung einer anderen als der geschuldeten Sache dem Sachmangel gleich. Die hier nicht mehr erwähnte Manko-Lieferung ist bereits in § 434 II 2 bzw. § 434 III 2 BGB als Sachmangel definiert.

 

Ergänzungen zum Nacherfüllungsanspruch (§ 439 BGB nF)

In § 439 Abs. 5 BGB nF wird die Obliegenheit des Käufers aufgenommen, dem Verkäufer die Sache zum Zweck der Nacherfüllung am Erfüllungsort der Nacherfüllungsverpflichtung zur Verfügung zu stellen. Die Kosten der Zurverfügungstellung hat nach § 439 II BGB der Verkäufer zu tragen. Im Bereich des Verbrauchsgüterkaufrechts kann der Käufer hierfür Vorschuss verlangen (§ 475 VI BGB). § 439 VI 1 BGB nF wird dahingehend ergänzt, dass es die Pflicht des Verkäufers ist, die im Wege der Nacherfüllung ersetzte Sache auch zurückzunehmen. § 439 VI 2 BGB nF regelt die Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme der Kaufsache auf eigene Kosten.

 

Änderungen im Lieferantenregress (§§ 445a, 445b, 478 BGB nF) 

Der Lieferant soll Aufwendungen, welche dem nachliefernden Verkäufer im Rahmen einer Rücknahmepflicht in Bezug auf die mangelhafte Sache anfallen, übernehmen. § 445 a I BGB nF verweist insofern auf § 439 VI 2 BGB nF.

445 b II BGB nF enthält eine Ablaufhemmung sowohl für den Regress nach § 445 I BGB als auch für die allgemeinen Gewährleistungsansprüche des Verkäufers gegen seinen Lieferanten. Danach tritt Verjährung der Regressansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Verkäufer die Gewährleistungsansprüche seines Käufers erfüllt. Die bislang in § 445 b II 2 BGB geregelte Höchstgrenze der Ablaufhemmung von fünf Jahren nach Ablieferung der Sache vom Lieferanten an den Verkäufer wurde gestrichen.

 

Vertrag über digitale Produkte als neuer Vertragstyp im BGB

Die §§ 327 – 327s BGB nF werden ins BGB im Allgemeinen Teil des Schuldrechts aufgenommen. In der Sache werden dadurch die existierenden Vertragstypen des BGB um einen neuen Vertragstypus ergänzt, und zwar durch den „Verbrauchervertrag über digitale Produkte“. Die Vorschriften von §§ 327 ff. BGB nF sind auf alle Verbraucherverträge anzuwenden, welche die Bereitstellung digitaler Produkte durch den Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben.

Der Begriff „digitale Produkte“ umfasst nach § 327 I BGB nF sowohl digitale Inhalte als auch digitale Dienstleistungen. Digitale Inhalte sind gem. § 327 II 1 BGB nF in digitaler Form erstellte und bereitgestellte Daten, also etwa Computerprogramme einschließlich so genannter Apps auf Mobilgeräten, Video- und Audiodateien, Musikdateien, digitale Spiele, elektronische Bücher etc.

Digitale Dienstleistungen sind nach § 327 II 2 BGB nF solche, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen. Digitale Dienstleistungen sind zum Beispiel solche, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen.

Eine Ware mit digitalen Elementen wird in § 327a III 1 BGB als eine Ware definiert, die digitale Produkte in einer solchen Weise enthält oder mit diesen verbunden ist, dass sie ihre Funktionen ohne Letztere nicht erfüllen kann.

Die §§ 327 ff. BGB nF normieren u.a. ein eigenes abgeschlossenes Gewährleistungsregime zugunsten des Verbrauchers mit eigenen Regelungen für die digitalen Elemente des Vertrages.

 

Neuregelungen im Verbrauchsgüterkaufrecht

Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB 

Die Definition des Anwendungsbereichs des Verbrauchsgüterkaufs in § 474 I BGB bleibt inhaltlich unverändert, lediglich der Begriff „bewegliche Sache“ wurde durch den Begriff „Ware“ iSv § 241 a I BGB ersetzt. Damit sind Sachen, die aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden, nicht von den §§ 474 ff. BGB erfasst.

Die §§ 474 ff. BGB sind ausgeschlossen, wenn gebrauchte Sachen in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung iSv § 312g II Nr. 10 BGB verkauft werden und dem Verbraucher „klare und umfassende Informationen“ über die Nichtgeltung des Verbrauchsgüterkaufs „leicht verfügbar“ gemacht werden.

Gemäß § 475 III 2 BGB nF ist im Verbrauchsgüterkaufrecht § 442 BGB unanwendbar.

 

Ergänzende Regelungen zum Nacherfüllungsanspruch

Nach § 475 V 1 BGB nF hat der Unternehmer die Nacherfüllung innerhalb angemessener Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher ihn über den Mangel unterrichtet hat, und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchzuführen.

Infolge einer ersatzlosen Streichung des § 475 IV, V BGB aF ist nunmehr ein „Totalverweigerungsrecht“ zulässig. Damit besteht die Möglichkeit, auch die Erfüllung der einzig möglichen oder einzig verbliebenen Nacherfüllungsmöglichkeit zu verweigern.

 

Verbrauchervertrag über digitale Produkte und Waren mit digitalen Elementen

  • 475b BGB enthält ergänzende Regelungen für den Verbrauchsgüterkauf über digitale Produkte sowie einer Ware mit digitalen Elementen. Die das Verbrauchsgüterkaufrecht ergänzenden Regelungen gelten für den Fall, dass sich der Unternehmer verpflichtet, dass er oder ein Dritter die betreffenden digitalen Elemente bereitstellt. Das Bestehen einer solchen Verpflichtung wird nach § 475b I 2 BGB nF iVm. § 327a III 3 BGB nF vermutet.

 

  • 475b II BGB nF bestimmt, dass eine Ware mit digitalen Elementen frei von Sachmängeln ist, wenn sie bei Gefahrübergang und in Bezug auf eine Aktualisierungspflicht auch während des Aktualisierungszeitraums den subjektiven und den objektiven Anforderungen sowie den Montage- und Installationsanforderungen entspricht. Auch hier erfolgt eine Kumulation von objektivem und subjektivem Fehlerbegriff.

Auch nach Gefahrübergang ist damit die Bereitstellung von Aktualisierungen erforderlich, soweit dies vereinbart oder üblicherweise zu erwarten ist. Ein Unterlassen stellt einen Sachmangel darf.

Für die Frage, über welche Dauer der Verbraucher legitimierweise Aktualisierungen erwarten kann, können Werbeaussagen, die zur Herstellung der Ware verwendeten Materialien sowie der Kaufpreis zählen. Je höherwertig die Ware ist, desto länger darf mit Aktualisierungen gerechnet werden. Eine Rolle spielt dabei auch die übliche Nutzungs- und Verwendungsdauer von Waren der gleichen Art.

 

  • 475c BGB nF ergänzt die Regelungen für den Fall, dass beim Kauf einer Ware mit digitalen Elementen eine dauerhafte Bereitstellung der digitalen Elemente über einen bestimmten oder unbestimmten Zeitraum vereinbart ist. Nach § 475c II BGB nF haftet der Unternehmer dann während des Bereitstellungszeitraums, mindestens aber für zwei Jahre nach Ablieferung der Ware dafür, dass diese den Anforderungen des § 475b II BGB nF an die Sachmangelfreiheit entspricht.
  1. Voraussetzungen für Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung
  • 475d I BGB nF regelt abschließend in welchen Fällen für den Rücktritt eine Fristsetzung zur Nacherfüllung entbehrlich ist.

 

  • Nach § 475d I Nr. 1 BGB nF ist die für den Rücktritt gem. § 323 I BGB erforderliche Fristsetzung entbehrlich, wenn der Unternehmer trotz Ablaufs einer angemessenen Frist die Nacherfüllung nicht vorgenommen hat. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Verbraucher den Unternehmer über den Mangel unterrichtet hat. Anders als bisher ist ein ausdrückliches Nacherfüllungsverlangen des Verbrauchers nicht erforderlich, um die Nacherfüllungsfrist in Gang zu setzen.

 

Gemäß § 475d I Nr. 2 BGB nF bedarf es einer Frist nicht, wenn sich trotz der vom Unternehmer versuchten Nacherfüllung ein Mangel zeigt. Es kann damit bereits nach dem ersten erfolglosen Nacherfüllungsversuch zurückgetreten werden. Zudem greift die Regelung auch dann ein, wenn im Zuge der Nacherfüllung ein neuer Mangel verursacht wurde.

Weiterhin bedarf es einer Fristsetzung gemäß § 475d I Nr. 3 BGB nF nicht, wenn der Mangel „derart schwerwiegend ist, dass der sofortige Rücktritt gerechtfertigt ist“.

 

Weiter ist nach § 475d I Nr. 4 eine Frist nicht erforderlich, wenn der Unternehmer „die gemäß § 439 I oder II oder § 475 V ordnungsgemäße Nacherfüllung verweigert hat“.

 

Zudem bedarf es gemäß § 475d I Nr.  5 BGB nF einer Fristsetzung nicht, wenn „es nach den Umständen offensichtlich ist, dass der Unternehmer nicht gem. § 439 I oder II oder § 475 V BGB ordnungsgemäß nacherfüllen wird“.

 

Sonderregelung für die Verjährung von Gewährleistungsrechten (§ 475e BGB nF)

Beim Kauf von Waren mit digitalen Elementen endet für Mängel an dauerhaft bereitzustellenden digitalen Elementen nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach Ende des Bereitstellungszeitraums (§ 475e I Nr. 1 BGB nF). Ansprüche wegen einer Verletzung der Aktualisierungspflicht iSv § 475b III, IV BGB nF verjähren nicht vor dem Ablauf von zwölf Monaten nach Ende der Aktualisierungspflicht.

 

  • 475c III BGB nF sieht für die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen eine Ablaufhemmung von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt vor, in welchem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Diese Regelung gilt sowohl in Bezug auf Mängel der Ware als auch für solche an deren digitalen Elementen.

 

  • 475e IV BGB nF regelt die Ablaufhemmung. Hat der Verbraucher die Ware dem Unternehmer oder auf dessen Veranlassung einem Dritten zur Nacherfüllung oder zur Geltendmachung von Garantieansprüchen übergeben, so tritt die Verjährung von Ansprüchen wegen des geltend gemachten Mangels nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in welchem dem Verbraucher die nachgebesserte oder ersetzte Ware zurückgegeben wurde.

 

Beweislastumkehr (§ 477 BGB nF)

Die Verlängerung der Beweislastumkehr bei Mängeln wird von 6 Monate auf ein Jahr angehoben, § 477 Absatz 1 BGB nF: Zeigt sich binnen eines Jahres nach der Lieferung ein Mangel der Ware, so wird vermutet, dass diese bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war.

Bei gebrauchten Sachen soll wieder eine Verkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr zugelassen werden. Verkäufer müssen zwölf Monate nach Übergabe der Kaufsache beweisen, dass die Kaufsache mangelfrei war.

 

Sonderbestimmung für Garantien (§ 479 BGB)  

Eine Garantie muss künftig mindestens den Umfang des gesetzlichen Nacherfüllungsanspruchs haben. Die Belehrungspflicht des Garantiegebers einer selbstständigen Garantie muss den Hinweis enthalten, dass die Inanspruchnahme der gesetzlichen Rechte durch die Garantie nicht eingeschränkt werden und dass die Inanspruchnahme dieser gesetzlichen Rechte unentgeltlich ist.

Die Garantieerklärung ist dem Verbraucher nunmehr auch ohne ein entsprechendes Verlangen spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung auf einem dauerhaften Datenträger iSv § 126b S. 2 BGB zur Verfügung zu stellen.

Neu eingeführt ist die gesetzliche Bestimmung des Mindestinhalts einer vom Hersteller übernommenen (selbstständigen) Haltbarkeitsgarantie iSv § 443 II BGB. Demnach hat der Verbraucher nach § 479 III BGB nF während des vereinbarten Garantiezeitraums gegen den Hersteller zumindest einen Anspruch auf Nacherfüllung gem. § 439 II, III, V, VI 2, 3, § 475 III 1, V BGB.

  1. Möglichkeit abweichender Vereinbarungen zum Nachteil des Verbrauchers (§ 476 BGB)
  • 476 I BGB enthält ein grundsätzliches Verbot haftungsbeschränkender Vereinbarungen zulasten des Verbrauchers. Absatz 4 der Vorschrift regelt unverändert das verbraucherschutztypische Umgehungsverbot.
  • 476 II BGB verbietet vor Mitteilung des Mangels vereinbarte vertragliche Erleichterungen der Verjährung, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren führt. Bei gebrauchten Waren ist eine vertragliche Verkürzung der Verjährung auf ein Jahr möglich, allerdings wiederum nur unter denselben Bedingungen wie eine negative Beschaffenheitsvereinbarung: Der Verbraucher muss vor der Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist eigens in Kenntnis gesetzt worden sein (Nr. 1) und die Verkürzung muss im Vertrag „ausdrücklich und gesondert“ vereinbart werden (Nr. 2).